Zwischen Securitate und Christvesper

Vergangenheitsbewältigung: Im neuen Buch „Aus dem Schweigen der Vergangenheit“ berichten Pfarrer der deutschen evangelischen Kirche in Siebenbürgen über ihr Leben unter der kommunstischen Regierung in Rumänien.

Von Jan Crummenerl

Es ist Heiligabend 1960 in Trappold. Das zweite Weihnachtsfest, das der junge Pfarrer Christian Reich im siebenbürgischen Dorf südlich von Schäßburg feiert. Die Vorbereitungen für die Christvester sind noch nicht abgeschlossen. Auch die überwiegend deutschen Bewohner bereiten sich auf ihren Höfen auf das Fest vor, das vom kommunistischen Regime nicht gern gesehen wird. Gegen 14 Uhr wird der evangelische Geistliche zum örtlichen Volksrat zitiert. „Zwei Herren aus der Stadt wurden mir vorgestellt. Allgemeine Informationen über die Kirchengemeinde wollten sie haben.“ Aber auch über das private Umfeld des Pfarrers scheinen sie bestens informiert. „Schön langsam begriff ich, dass dies ein Verhör war.“ Er wird nach Klaus Knall gefragt. Und da dämmert es Christian Reich. Sein ehemaliger Kommilitone wurde wenige Jahre zuvor bei dem politisch motivierten Prozess gegen den Kronstädter Stadtpfarrer Möckel zu einer langjährigen Strafe verurteilt. Glück im Unglück: Kurz vor Beginn der Vesper darf Reich gehen. Draußen erfährt er, das zur gleichen Zeit seines Verhöres die Dorfkinder im Kulturhaus eingesperrt waren, um sie von dem christlichen Treiben fernzuhalten. Die Eltern haben sie befreit.

Verhöre, Einschüchterungen, Schikanen seitens des rumänischen Geheimdienstes Securitate und anderer staatlicher Stellen sowie Reaktionen aus der Kirchenleitung ziehen sich wie ein roter Faden durch das fast 400 Seiten starke Buch „Aus dem Schweigen der Vergangenheit“, das Hermann Schuller nun herausgegeben hat. Rund 30 Beiträge, überwiegend von Pfarrern, finden sich hier: Erfahrungen und Berichte aus der siebenbürgischen Evangelischen Kirche zu Zeiten des Kommunismus. Für Schuller stand am Anfang die Frage einer Mitschuld der Kirche. „Was ist mit der Evangelischen Kirche in Rumänien“, fragte 2009 die aus dem rumänischen Banat stammende Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller in der Paulskirche in Frankfurt. Hermann Schuller: „Die Frage war so inszeniert, dass für allerlei Verdächtigungen der Kollaboration mit den staatlichen Organen Raum geschaffen wurde.“ Dem sollte nachgegangen werden, Zeitzeugen sollten ihre Erlebnisse schildern.

Sicher gab es „Inofizielle Mitarbeiter“ der Securitate. Aber noch schlimmer war das erzeugte Klima des Misstrauens, dass manche Pfarrer sich gerade einmal nur ihren Ehefrauen anzuvertrauen wagten. „Manchmal gab es ein beiläufiges Munkeln, dass der eine oder andere nicht ganz koscher sei“, erinnert sich etwa auch Michael Fabi an seine Studienzeit in Hermannstadt in den späten 1950er Jahren. Auch hier steht der Kronstädter Prozess 1958 im Hintergrund. Stadtpfarrer Dr. Konrad Möckel, der mehr Wert auf christliche Jugendarbeit denn auf staatstreue Anpassung legte und zudem beste Kontakte zur Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hatte, sollte mit seinen Mitstreitern als „Berufsspion“ aus dem Weg geschafft werden.

Angst war also berechtigt. Ein besonderer Beitrag in diesem Zusammenhang ist der umfangreiche und erschütternde Bericht von Pfarrer Gerhard Gross „Meine politische Haft – Kritische Reflexionen über eine Reise durch die Unterwelt“.  Ebenfalls beim erwähnten Kronstädter Prozess wurde Gross zu 25 Jahren Haft verurteilt und ging buchstäblich durch die Unterwelt der Lager. Hat die Kirche zu wenig getan, hätte sie mehr tun können? Moralische Unterstützung durch die Kirchenleitung findet sich immer, aber auf politischer Ebene wird meist der Mund gehalten, denn der rumänische Staat hatte besonders die deutschsprachigen Kirchen im Visier. In seinem Geleitwort schreibt D. Dr. Christoph Klein, ehemaliger Bischof von Hermannstadt, „dass man nicht von einer kollektiven Schuld der Kirche ausgehen könne, sich aber einer kollektiven Verantwortung für sein Handeln stellen müsse“.

Für manche Pfarrer war eine angedachte Auswanderung, um den oft unerträglichen Verhältnissen zu entkommen, ein schwieriges Thema. Viele ihrer „Schäfchen“ stellten Anträge, um nach Deutschland gehen zu können. In der Ceaucescu-Ära zahlte die Bundesregierung über ein Geheimabkommen ein Kopfgeld für jeden deutschstämmigen Auswanderer. Das nutzte die kommunstische Regierung weidlich aus. Man ließ Antragsteller oft jahrelang zappeln, kassierte bei Ihnen noch einmal ab, Haus und Grund fielen für einen Apfel und ein Ei an den Staat, Schikanen waren an der Tagesordnung. Auswanderungswillige Pfarrer traf es besonders hart. Wer einen Ausreiseantrag stellte, musste sein Amt niederlegen. Und in Deutschland gab es keine Berufschance. In einer Übereinkunft zwischen der siebenbürgischen Evangelischen Kirche und der EKD sollte kein ausgewanderter Pfarrer in Westdeutschland eine Anstellung erhalten. In einem Schreiben von 1964 vom siebenbürgischen Bischof Friedrich Müller an den Präses der EKD bezeichnete er diese Pfarrer als „Mietlinge“: also als gemietete Hirten, die ihre Herde bei Gefahr im Stich lassen. Das sollte für die „Pfarrer und ihre Familien schwerwiegende Folgen haben, wurde aber theologisch und ekklesiologisch (kirchlich) nicht aufgearbeitet“, so Hermann Schuller, der auch Vorsitzender der Gemeinschaft Evangelischer Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben im Diakonischen Werk der EKD ist.

Schullers Buch greift ein hierzulande fast unbekanntes Kapitel der jüngsten Geschichte auf. Und gerade in Deutschland sollte man sich dafür interessieren, wie es den überwiegend aus dem Rheinland vor rund 800 Jahren Ausgewanderten ergangen ist, die über alle diese Jahrhunderte ihre Sprache und Kultur – fast bis heute – bewahrt haben und sich gleichzeitig friedlich integriert haben in Siebenbürgen, wo Rumänen, Ungarn und Deutsche zusammenleben. Mal unter einem ungarischen König, mal im Reich der Habsburger und heute in Rumänien, das Teil der EU-Gemeinschaft ist. Die Berichte geben einen lebendigen, authenischen und auch für die Außenstehenden eindringlichen, informativen und sehr persönlichen Einblick in die Welt eines Lebens in einem kommunistischen Staat. Ein Fortsetzungband ist geplant. Noch leben die Zeitzeugen.

Hermann Schuller (Herausgeber): „Aus dem Schweigen der Vergangenheit“, Schiller Verlag Hermannstadt/ Bonn, gebunden, 382 Seiten, 15,85 Euro.

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Autor bei "Deutsche Gesellschaft für Kulturaustausch". Lorem ipsum dolor sit amet, consetetur sadipscing elitr, sed diam nonumy eirmod tempor invidunt ut labore et dolore magna aliquyam erat, sed diam voluptua. At vero eos et accusam et justo duo dolores et ea rebum. Stet clita kasd gubergren, no sea takimata sanctus est Lorem ipsum dolor sit amet.