Jens Kielhorn macht Karriere mit einem eigenen Verlag, den er in Sibiu/Hermannstadt gegründet hat.

Das Tor ist breit und steht einladend offen. Durch einen landestypischen Rundbogen gelangt man in den Hof des Gründerzeitbaus direkt am zentral gelegenen Astra-Park. Ein ehemaliges Waisenhaus, auf das die Sonne vom klaren Himmel herunter ihre glühheißen Strahlen schickt. Im Park toben Kinder unter hohen Bäumen, am Rand füllt der Eisverkäufer die Waffeltüten für kleine und große Leckermäuler, und an den Tischen sitzen Schachspieler, die unbeeindruckt von den Kommentaren zuschauender Zaungäste auf ihre Partie konzentriert sind. „Die Leute hier haben eine ungemein freundliche Mentalität“, sagt Jens Kielhorn. „Man rennt offene Türen ein. Nicht zuletzt deshalb, weil man als Deutscher einen enormen Vertrauensvorschuss genießt.“ Seit 2005 leben die Kielhorns mit ihren inzwischen drei Kindern in Sibiu, wie der rumänische Name für Hermannstadt lautet. Im historischen Teutsch-Haus, einer Begegnungsstätte der deutschsprachigen evangelischen Kirche in Rumänien, haben sie ihr Erasmus-Büchercafé eröffnet.

Das Motiv ist klassisch: die Liebe. Wie sonst käme ein Wuppertaler Verkehrsingenieur dazu, ins rumänische Hermannstadt zu ziehen, um dort einen Verlag zu gründen und mehrere Buchhandlungen zu eröffnen. „Ich hatte immer den Wunsch, ins Ausland zu gehen“, sagt Jens Kielhorn. „Und Rumänien hat mir von meinen Reisen her sehr gut gefallen.“ Bei einem Studentenaustausch hat er seine spätere Frau Liana kennengelernt. Die Nordsiebenbürgerin infizierte Kielhorn auch mit der Begeisterung fürs Buchgeschäft. „Meine Frau hatte schon in Bonn die Idee für ein Büchercafé“, erklärt der 45-Jährige. „Aber das wollten wir dann in Rumänien machen.“

Jens Kielhorn macht Karriere mit einem eigenen Verlag, den er in Sibiu/Hermannstadt gegründet hat

Die Buchhandlung floriert. „Von den deutschen Einheimischen wird sie gut angenommen, und natürlich kommen auch die Touristen.“ Die deutschsprachigen Bücher sind auch bei den hiesigen Rumänen beliebt, denn in der siebenbürgisch-deutsch geprägten Stadt sprechen viele die Sprache derer, die sie als Einwanderer aus dem Rheinland vor 800 Jahren in das Land am Fuße der Karpaten mitgebracht hatten. So gibt es in Hermannstadt neben der deutschen Gemeinde, eine deutschsprachige Zeitung, ein deutsches Gymnasium, eine deutschsprachige Abteilung am Nationaltheater, eine rumänisch-deutsche Universität. Und seit 2007 zudem den deutschsprachigen Schiller-Verlag, den Jens Kielhorn gegründet hat. Jährlich erscheinen hier bis zu 20 neue Bücher.

„Der Verlag hat eine Nischenfunktion für deutsch-siebenbürgische Literatur“, sagt der Verleger. Zum Programm gehören Romane, Gedichtbände, Geschichtsbücher, Erinnerungen und Reiseberichte rund um das „Land hinter den Wäldern“, wie die Übersetzung von Transsilvanien heißt. Kurioserweise wurde das erste Buch des Verlages fast ein Bestseller: ein siebenbürgisches Kochbuch. Die mehr als gehaltvollen Gerichte mit viel Speck, Fleisch und Wurst erfreuen auch den bundesdeutschen Gaumen. Dieser Schmankerlschinken mit fast 600 Seiten prangt auch in den Auslagen der Buchgeschäfte, die Kielhorn eröffnet hat. Das zweite direkt im  Zentrum der Altstadt am „Großen Ring“, das dritte in Mediasch, das vierte in Temeschwar. Trotz dieser Vielzahl von Neueröffnungen gehört Kielhorns Herz nach wie vor Hermannstadt, wo er für seine Familie gerade ein Haus auf dem Land gebaut hat. „Es ist eine sehr persönliche Stadt mit einem ganz besonderen Flair. Das macht, dass man sich hier so wohl fühlt. Hinzu kommt das für eine so relativ kleine Stadt sehr große Kulturangebot.“

Dass Hermannstadt mit seinen gut 150.000 Einwohnern nicht nur in Sachen Kultur sehr gut dasteht, ist auch einem Mann zu verdanken: Klaus Johannis. Der rumäniendeutsche Physiker ist seit 2000 Bürgermeister, mehrfach wiedergewählt mit Ergebnissen stets um die 80 Prozent. Das mag bezeugen, wie zufrieden die Hermannstädter mit ihrem Stadtvater sind. „Die meisten Deutschen sind ja ausgewandert, aber die Rumänen wählen Johannis“, nickt ein alter Schachspieler im Astra-Park zustimmend. „Pro Kultur heißt das Stichwort“, erklärt Johannis. „Meine Motivation, bei der Bürgermeisterwahl 2000 für die Partei der deutschen Minderheit anzutreten, war meine Unzufriedenheit – und die vieler anderer.“ Wie sich Hermannstadt seit der Wende entwickelt habe, sei nicht hinzunehmen gewesen. „Wir waren auf dem besten Wege, ein verstaubtes Provinznest zu werden. Aber mit Glück und viel Einsatz ist es uns gelungen, Investoren, besonders aus Deutschland, zu uns zu holen.“ Allein ein namhafter deutscher Automobilzulieferer beschäftigt hier 2200 Menschen. Die Arbeitslosenquote in Hermannstadt geht gegen Null. „Standortvorteile sind die von deutscher Vergangenheit geprägte Stadt, die Tatsache, dass viele hier Deutsch sprechen und jetzt natürlich das große Kulturangebot“, erklärt der 56-Jährige. So gibt es in Hermannstadt das drittgrößte internationale Theaterfestival Europas und an jedem Wochenende große Kultur-Events – neben all den anderen Sehenswürdigkeiten der mittelalterlichen Stadt. 2007 war Sibiu zudem „Europäische Kulturhauptstadt“. Das lockt Touristen herbei – aus Deutschland ebenso wie aus Fernost. „Es gibt trotzdem noch viel zu tun in Hermannstadt – und es gibt sehr viel Hoffnung“, sagt der Bürgermeister.

Ein Hoffnung, von der auch Jens Kielhorn, der gebürtige Bonner profitiert, der ein Anliegen hat, das ihm sehr wichtig ist: „Ich würde gerne den Deutschen die Angst vor Rumänien nehmen.“ Er kämpft gegen Vorurteile, die gar nicht stimmen: „Allein in Sachen Kriminalität lebt man in Rumänien heute sicherer als in Deutschland.“ Und persönlich wünscht sich der Neu-Hermannstädter „ein wenig mehr Freizeit, aber ich habe im Moment zuviel Arbeit“. Das Motiv bleibt wieder die Liebe. Die Liebe zu Frau und Kindern, zu den Büchern – und nicht zuletzt zu der Stadt am Fuße der Karpaten. Der Blick geht gen Himmel. Ein Regenschauer kündet sich von den Bergen her an. Aber davon lassen sich Kinder, Eisverkäufer und Schachspieler im Astra-Park nicht beeindrucken.