Schwerpunkt Europa im Jahr der Wahl: 33 Vorstellungen bietet das 29. Shakespeare-Festival im Neusser Globe vom 14. Juni bis zum 13. Juli.

Wenn ein Künstler sich selbst ermächtigt, um einen geheiligten Klassiker nach Eigendünken umzugestalten, ist ihm zumindest eines sicher: der Aufschrei im Puristen-Lager. So erging es 1859 Charles Gounod mit seiner „Faust“-Oper, die in Deutschland direkt den Titel „Margarethe“ verpasst bekam, um bei dieser auf eine Liebesgeschichte reduzierte Handlung ja nicht zu viel Goethe-Nähe aufkommen zu lassen. Ganz Bösartige behaupteten sogar, Gounod habe die Musik einem im Irrenhaus vor sich hindämmernden Komponisten geklaut – denn sie sei viel zu gut, als dass sie von ihm stammen könne. Auch Shakespeare musste sich einige „Umdeutungen“ gefallen lassen. In Ambroise Thomas‘ Oper „Hamlet“ von 1868 muss der Titelheld nicht sein Leben aushauchen, sondern wird am Schluss bejubelter König von Dänemark. Und Romeo und Julia laufen 1776 in Anton Georg Bendas gleichnamigem Singspiel glücklich in den Hafen der Ehe ein.

Probe im Globe 2017

„Sowas wird es bei uns nicht geben“, verspricht augenzwinkernd Dr. Rainer Wiertz, künstlerischer Leiter des Shakespeare-Festivals, das vom 14. Juni bis zum 13. Juli wieder fünfstellige Besucherzahlen ins Globe-Theater an der Neusser Rennbahn locken möchte. Wenn das Theater Poetenpack aus Potsdam „Romeo und Julia“ geben wird, werden die beiden wieder sterben müssen. Auch der Ausflug auf die Opernbühne wird keine überraschenden Handlungswendungen bieten. Dafür aber große Stimmen. Mit „Shakespeare at the Opera“ bietet das Opernstudio der Deutschen Oper am Rhein einen musikalischen Rundumschlag. Mit Werken von Berlioz bis Cole Porter werden Lesungen aus Shakespeare-Texten umrahmt. Mit „Searching for William in Concert“ mit der Pop-Gruppe „Woods of Birnam“ ist das der musikalische Ausflug innerhalb des Festivals, das natürlich auch wieder Veranstaltungen für Kinder und Schüler im Programm hat. Der Schwerpunkt aber liegt wie immer auf den Stücken Shakespeares, wofür Wiertz alljährlich nicht nur die deutschen und englischen Bühnen abklappert, um die besten und interessantesten Neuinszenierungen in den historischen Globe-Nachbau zu holen. „Die Qualität ist mir dabei das Wichtigste“, so der Intendant. „Denn ein zum Teil von weither angereistes Publikum soll nicht enttäuscht werden.“ Nicht umsonst pilgern Interessierte aus weit über 100 Städten und Kreisen nach Neuss – so die Stichproben der Kennzeichen auf dem Parkplatz – zum einzigen deutschen Shakespeare-Festival. Innerhalb eines Monats werden in 33 Vorstellungen 15 Inszenierungen aus Frankreich, Polen, Ungarn, England und Deutschland gezeigt. Darunter sind sieben Deutschland- und drei NRW-Premieren.

Wiertz: „Mit Blick auf einen Brexit machen sich natürlich die englischen Theatergruppen besonders Sorgen. Wie wird es dann mit Zoll, Visa oder den Einnahmen aussehen?“ Deshalb hat Wiertz im Jahr der Europawahl, den Schwerpunkt auf europäische Inszenierungen gelegt. „Aber für das nächste Jahr werde ich mich auch wieder im amerikanischen und asiatischen Raum umsehen.“ Spannend wird es mit „Richard III.“ des Maladype Theaters aus Budapest. „Shakespeare ist ja immer politisch.“ Und dieser Richard besonders. „Es ist die Geschichte eines Mannes, der alle umbringen lässt, die ihn auf dem Weg zum Thron stören könnten.“ Auf dem Herrschersessel angekommen, krallt er sich mit allen Mittel daran fest. Das kommt einem nicht nur heute bekannt vor. Auch eine Rarität hat der künstlerische Leiter ausgegraben: „Macbett“ von Eugène Ionesco. „Eine deutsche Textausgabe aus dem Jahr 1972 konnte ich nur noch antiquarisch bekommen.“

Der Globe in Neuss

Umso glücklicher ist der Umstand, dass sich das polnische Theater Papahema aus Bialystok dieser eigenwilligen Shakespeare-Adaption angenommen hat. Handlung und Figuren werden eingedampft, und alles ganz im Sinne des absurden Theaters zu wunderlichen Wendungen gebracht. So gibt es etwa eine Lady Duncan, zugleich eine der Hexen, die, nachedem ihr Gatte gemeuchelt wurde, zur Lady Macbeth wird. „Das Ganze spielt auf einem Golfplatz“, erläutert Wiertz. „Dort wurden schon von je her politische Entscheidungen besprochen und getroffen.“ Und die Puristen dürfen doch noch aufschreien: Mit „Much Ado About Nothing“ und „The Tempest“ gastieren die auf Fahrrädern agierenden Londoner „HandleBards“. „Die Stücke werden buchstäblich auseinandergenommen und wieder neu zusammengesetzt.“ 

Infos: Der Karten-Vorverkauf beginnt am 23. März. Infos dazu und das komplette Programm im Internet: www.shakespeare-festival.de

Von Jan Crummenerl